Norbert
2011-11-02 06:24:04 UTC
Der griechische Weg
Demokratie ist Ramsch
Wer das Volk fragt, wird zur Bedrohung Europas. Das ist die Botschaft
der Märkte und seit vierundzwanzig Stunden auch der Politik.
Wir erleben den Kurssturz des Republikanischen.
[...]
Entsetzen in Deutschland, Finnland, Frankreich, sogar in England,
Entsetzen bei den Finanzmärkten und Banken, Entsetzen, weil der
griechische Premierminister Georgios Papandreou eine Volks-
abstimmung zu einer Schicksalsfrage seines Landes plant.
[...]
Der britische "Telegraph" berichtet über einen Witz, der in Finanz-
kreisen und offensichtlich auch im britischen Kabinett kursiert:
Es wäre jetzt gut, in Griechenland putschte sich eine Militärjunta
an die Macht, denn Militärjuntas dürfen nicht Mitglied der EU sein.
Und "Forbes", immerhin nicht irgendeine Adresse in der Finanz-
öffentlichkeit - der Redakteur überschrieb ursprünglich seinen
Artikel mit: "Die wahre griechische Lösung: Ein Militärcoup";
[...]
Moralische Übereinkünfte werden zerstört
Man muss nicht alle Beziehungen des Witzes zum Unterbewussten
kennen, um zu verstehen, wie massiv gerade moralische Überein-
künfte der Nachkriegszeit im Namen einer höheren, einer finanz-
ökonomischen Vernunft zerstört werden. Solche Prozesse laufen
schleichend ab, sie tun ihr Werk im Halbbewussten, manchmal
über Jahrzehnte, bis aus ihnen eine neue Ideologie entstanden ist.
[....]
Denn man muss aufschreiben, was Papandreou gesagt hat und
was in den Ohren Europas wie das Gefasel eines unberechenbaren
Kranken klingt: "Der Wille des Volkes ist bindend." Lehne das Volk
die neue Vereinbarung mit der EU ab, "wird sie nicht verabschiedet".
In Deutschland, wir erinnern uns, verstand man unter Demokratie
noch vor wenigen Tagen den Parlamentsvorbehalt. Erzwungen
von unserem obersten Gericht und begrüßt von allen Parteien.
Deswegen musste sogar ein EU-Gipfel vertagt werden.
Nichts ist davon für Griechenland noch gültig.
Worin liegt die Zumutung? Dass der griechische Ministerpräsident
die Schicksalsfrage seines Volkes diesem selben Volk vorlegt.
Darauf reagieren der angeblich vorbildlich sparsame Bundesbürger
und seine Politiker mit Panik - aber nur deshalb, weil die Finanzmärkte
mit Panik reagieren. Sie alle haben sich zu Gefangenen der Vorwegnahme
von Erwartungen gemacht, die an den Finanzmärkten gehegt werden.
Man schaue sich an, wo wir hingekommen sind: Worte wie die von
Papandreou können jetzt als gemeingefährlich gelten.
[...]
Sieht man denn nicht, dass wir jetzt Ratingagenturen, Analysten oder
irgendwelchen Bankenverbänden die Bewertung demokratischer
Prozesse überlassen? Sie alle wurden in den letzten 24 Stunden
befragt und bestürmt, als hätten sie irgendwas dazu zu sagen,
dass die Griechen über ihre Zukunft selbst abstimmen wollen.
[...]
Papandreou tut nicht nur das Richtige, indem er das Volk in die
Pflicht nimmt. Er zeigt auch Europa einen Weg. Denn in dieser neuen
Lage müsste Europa alles tun, um die Griechen davon zu überzeugen,
warum der Weg, den es zeigt, der richtige ist. Es müsste dann nämlich
sich selbst davon überzeugen. Es wäre kein Prozess in Brüsseler Beton,
an dessen Ende eine enthemmte Presse die Bundeskanzlerin als eine
Art Gigantin zeichnete. Es wäre eine Selbstvergewisserung der gleich-
falls hochverschuldeten europäischen Staaten, die sich endlich
darüber Klarheit verschaffen könnten, welchen Preis sie für die
immateriellen Werte eines geeinten Europa bezahlen wollen.
Quelle: F.A.Z.
http://www.faz.net/aktuell/der-griechische-weg-demokratie-ist-ramsch-11514358.html
Zitat:
"Sieht man denn nicht, dass wir jetzt Ratingagenturen, Analysten
oder irgendwelchen Bankenverbänden die Bewertung
demokratischer Prozesse überlassen?"
Nachdem Zeitungen "Presse" und "Standard" bzw. die meisten deutschen
Medien eifrig für die Abschaffung der Demokratie trommeln -
ein vernünftiger Artikel der Frankfurter Allgemeinen!
nor
Demokratie ist Ramsch
Wer das Volk fragt, wird zur Bedrohung Europas. Das ist die Botschaft
der Märkte und seit vierundzwanzig Stunden auch der Politik.
Wir erleben den Kurssturz des Republikanischen.
[...]
Entsetzen in Deutschland, Finnland, Frankreich, sogar in England,
Entsetzen bei den Finanzmärkten und Banken, Entsetzen, weil der
griechische Premierminister Georgios Papandreou eine Volks-
abstimmung zu einer Schicksalsfrage seines Landes plant.
[...]
Der britische "Telegraph" berichtet über einen Witz, der in Finanz-
kreisen und offensichtlich auch im britischen Kabinett kursiert:
Es wäre jetzt gut, in Griechenland putschte sich eine Militärjunta
an die Macht, denn Militärjuntas dürfen nicht Mitglied der EU sein.
Und "Forbes", immerhin nicht irgendeine Adresse in der Finanz-
öffentlichkeit - der Redakteur überschrieb ursprünglich seinen
Artikel mit: "Die wahre griechische Lösung: Ein Militärcoup";
[...]
Moralische Übereinkünfte werden zerstört
Man muss nicht alle Beziehungen des Witzes zum Unterbewussten
kennen, um zu verstehen, wie massiv gerade moralische Überein-
künfte der Nachkriegszeit im Namen einer höheren, einer finanz-
ökonomischen Vernunft zerstört werden. Solche Prozesse laufen
schleichend ab, sie tun ihr Werk im Halbbewussten, manchmal
über Jahrzehnte, bis aus ihnen eine neue Ideologie entstanden ist.
[....]
Denn man muss aufschreiben, was Papandreou gesagt hat und
was in den Ohren Europas wie das Gefasel eines unberechenbaren
Kranken klingt: "Der Wille des Volkes ist bindend." Lehne das Volk
die neue Vereinbarung mit der EU ab, "wird sie nicht verabschiedet".
In Deutschland, wir erinnern uns, verstand man unter Demokratie
noch vor wenigen Tagen den Parlamentsvorbehalt. Erzwungen
von unserem obersten Gericht und begrüßt von allen Parteien.
Deswegen musste sogar ein EU-Gipfel vertagt werden.
Nichts ist davon für Griechenland noch gültig.
Worin liegt die Zumutung? Dass der griechische Ministerpräsident
die Schicksalsfrage seines Volkes diesem selben Volk vorlegt.
Darauf reagieren der angeblich vorbildlich sparsame Bundesbürger
und seine Politiker mit Panik - aber nur deshalb, weil die Finanzmärkte
mit Panik reagieren. Sie alle haben sich zu Gefangenen der Vorwegnahme
von Erwartungen gemacht, die an den Finanzmärkten gehegt werden.
Man schaue sich an, wo wir hingekommen sind: Worte wie die von
Papandreou können jetzt als gemeingefährlich gelten.
[...]
Sieht man denn nicht, dass wir jetzt Ratingagenturen, Analysten oder
irgendwelchen Bankenverbänden die Bewertung demokratischer
Prozesse überlassen? Sie alle wurden in den letzten 24 Stunden
befragt und bestürmt, als hätten sie irgendwas dazu zu sagen,
dass die Griechen über ihre Zukunft selbst abstimmen wollen.
[...]
Papandreou tut nicht nur das Richtige, indem er das Volk in die
Pflicht nimmt. Er zeigt auch Europa einen Weg. Denn in dieser neuen
Lage müsste Europa alles tun, um die Griechen davon zu überzeugen,
warum der Weg, den es zeigt, der richtige ist. Es müsste dann nämlich
sich selbst davon überzeugen. Es wäre kein Prozess in Brüsseler Beton,
an dessen Ende eine enthemmte Presse die Bundeskanzlerin als eine
Art Gigantin zeichnete. Es wäre eine Selbstvergewisserung der gleich-
falls hochverschuldeten europäischen Staaten, die sich endlich
darüber Klarheit verschaffen könnten, welchen Preis sie für die
immateriellen Werte eines geeinten Europa bezahlen wollen.
Quelle: F.A.Z.
http://www.faz.net/aktuell/der-griechische-weg-demokratie-ist-ramsch-11514358.html
Zitat:
"Sieht man denn nicht, dass wir jetzt Ratingagenturen, Analysten
oder irgendwelchen Bankenverbänden die Bewertung
demokratischer Prozesse überlassen?"
Nachdem Zeitungen "Presse" und "Standard" bzw. die meisten deutschen
Medien eifrig für die Abschaffung der Demokratie trommeln -
ein vernünftiger Artikel der Frankfurter Allgemeinen!
nor
--
Eine Diktatur ist eine Regierung, bei der man in Gefahr gerät, sitzen
zu müssen, wenn man nicht hinter ihr stehen will. (Stanislaw Jerzy Lec)
Eine Diktatur ist eine Regierung, bei der man in Gefahr gerät, sitzen
zu müssen, wenn man nicht hinter ihr stehen will. (Stanislaw Jerzy Lec)